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01 – UY – Montevideo

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Als wir am Flughafen, müde durch die lange und verspätete Reise ankamen, waren wir von den schwungvollen Formen des Flughafengebäudes absolut beeindruckt. Das tragflächenartig gewölbte Dach und die filigranen Tragstrukturen aus Stahlrohr „feiern die Ästhetik der Luftfahrt“.
Die Dachkonstruktion spannt sich 365 Meter weit über die allseitig verglaste Abflughalle. Am Geländer der Vorfahrt sind Powercast Scheinwerfer mit 150W Halogen-Metalldampflampen montiert. https://de.wikipedia.org/wiki/Flughafen_Montevideo

Woooowwww dachten wir! Die Uruguayaner sind, was die Architektur anbelangt, so crazy wie die Hamburger!!! Und wir freuten uns auf die uns bevorstehende Gebäude-Highlights. Als wir dann noch völlig unkompliziert und ohne grosses Brimborium den Zoll passierten und uns Uruguay willkommen hies, dachten wir im Paradies gelandet zu sein.

Daten und Fakten Flughafen:
Baukosten: 165 Mio Dollar
Fläche neues Terminal: 45‘000 m2
Ausrüstung: 8 Flugsteige, 4 teleskopische Einstiegsbrücken
Baubeginn/Ende: 2007 / Inbetriebnahme => Dezember 2009

Mit dem Sammelbus (bedingt längeres Warten) fuhren wir gemeinsam mit anderen Passagiere an die Adresse, wo wir für die nächsten 5 Wochen wohnen würden. Die Fahrt war lang, weil wir diejenigen waren, die am weitesten entfernt vom Flughafen hausten und zwar in der Ciudad Vieja. Dadurch hatten wir jedoch die Möglichkeit, die Stadt schon im Voraus etwas zu entdecken. Vergeblich suchten unsere Augen die monumentalen Gebäude – wir sahen nur unzählige abgerissene, ungepflegte, schmuddelige und gewöhnliche Hochhäuser.

Doch ihr wisst ja bereits, dass Kurt und ich unverbesserliche Positivdenker sind und so dachten wir, morgen – wenn wir ausgeruht sind – werden wir bestimmt in der Ciudad Vieja die Schönheiten dieser Stadt entdecken.

Unser Zuhause hier in Montevideo ist eine schicke kleine Wohnung und befindet sich im Zentrum der Altstadt. Das ermöglich uns, zu Fuss jede Ecke der Altstadt zu entdecken. Wir müssen aber dabei sehr achtsam sein, denn überall auf der Strasse und Fussgängerzone liegt Hundesch…… oder Unmengen von Resten eines durchgewühlten Abfall-Containers. Die Schönheiten dieser Stadt suchen wir anfänglich vergeblich – wo wir hinschauen sehen wir Schmutz, Müll und X-tausende von Plastiksäcken in allen Farben. Letztere schmücken die Strassen und Bäume als wären sie eine Weihnachtsdekoration. Die Urugayaner haben einen Spleen – alles, jedes kleine Etwas, wird im Laden in Plastiksäcke abgefüllt.
Auch sie selber ärgern sich über diesen Zustand, machen aber tapfer weiter. Sie erklären uns, dass die Obdachlosen, (obwohl sie die Möglichkeit hätten in ein „Urbano“ = Obdachlosenheim wohnen zu können) die Strasse wählen. Während der Nacht leeren sie den ganzen Inhalt eines Containers auf die Strasse – der Wind (der hier immer weht) macht den Rest!

Nachdem wir uns vom Kulturschock mehr oder weniger erholt haben und wissen, wie wir die Hundesch… umgehen können, entdecken wir doch noch die versteckten Schönheiten dieser 1,4 Mio-Einwohner Metropole am Rio de la Plata.

Die Plaza Indipendencia, die grösste und wichtigste Plaza schmückt sich mit den Resten der alten Stadtmauer, das Teatro Solis, die Torre Ejecutiva (Sitz des Präsidenten von Uruguay/Tabaré Vázquez), das wunderschöne und mächtige Artigas-Denkmahl und darunter die von zwei Soldaten bewachte Urne des Nationalhelden.

Die Rambla, ist eine 22 km lange, meist sehr breite und abwechslungsreiche Fussgänger- und Küstenstrasse entlang des Rio de la Plata. Unzählige Parks die zum fahrradfahren, spazieren, tanzen, rollschuhlaufen, joggen etc. einladen, säumen den Weg. Zwischen der Rambla und dem Fluss hat es meist feinsten Sandstrand, oft recht breit. Ein Paradies wenn das Wetter schön ist.

Die Fortaleza del Cerro, befindet sich auf dem einzigen Hügel (134 müM) weit und breit am westlichen Ende der Stadt. Von dort hat man eine wunderschöne Fernsicht auf die weitere Umgebung. Im Fort befindet sich das Militärmusem General Artigas – wo unzählige Originale von Uniformen und Waffen aus den Befreiungskämpfen zu sehen sind.

Der Mercado del Puerto, die wohl absolut beste Adresse wenn’s um Asado geht. Riesige Grills, bestückt mit Würsten, Innereien, Fleisch und etwas Gemüse brutzeln vor sich hin. Hungrige Mäuler sitzen rundherum und warten bis ihr Lieblingsstück gar ist. Der ganze Tag, aber vor allem mittags, ist hier die Hölle los – und das nicht nur wegen der Hitze vom Grill. 150kg Fleisch (so haben wir uns vom Grillmeister sagen lassen) werden täglich pro Parilla gegrillt (es gibt mind. 6 davon). Dazu wird ein edler Tropfen – wie ihr seht, temperiert auf „Zimmertemperatur“, serviert!
Auch wir sitzen zwischendurch um die Parilla, schlemmen und füllen uns die Bäuche. Ich bevorzuge in der Regel Entrecôte, Kurt Filet (Lomo). Auf den Wein verzichten wir, die Temperatur bekommt uns nicht gut. 🙂

Beim Anblick der Portionen hat unser lieber Feund Andreas uns folgendes prophezeit:
„Und es wird eines Tages ein grosses Schiff über das Wasser kommen, aus dessen Bauch ein kleiner Sprinti rollt. Und es wird die erste Nacht anbrechen und die Reisenden, die sich mühsam bis zur schmalen Himmelsleiter vorgekämpft haben, werden feststellen, dass die heiss ersehnte Schlafstatt unerreichbar sein wird. Und es wird ein grosses Wehklagen einsetzen und man wird die Tage des Schlemmens verfluchen“.
Lieber Freund Andreas, deine Prophezeiung mag vielleicht in Erfüllung gehen – doch unser Credo ist: freue dich über das Heute, denn du weisst nicht, was das Morgen bringt!

Das Leben in Montevideo ist für südamerikanische Verhältnisse recht teuer. So kostet z.B. ein Lomo (Filet) mit Beilage (Pommes) ca. CHF 22; eine grosse Cerveza CHF 5 – 8; Ein Cappuccino CHF 4-5 (in der Altstadt, in unserem Standard-„Zmorge-Kafi“ nur CHF 3.20).
Die Löhne bewegen sich bei einer Kassierin CHF 800-850; ein Unterstufenlehrer CHF 1000; ein Oberstufenlehrer bis CHF 2000; ein Arzt >CHF 6000 pro Monat.

Am 31. Juli 2017, als wir nichts ahnend im Mercado del Puerto unser Nachtessen geniessen wollten, erlebten wir eine grosse Überraschung. Schon von weitem hörten wir laute Musik und als wir näher kamen konnten wir, was wir sahen, echt nicht einordnen. Unzählige Menschen mit zerrissenen Kleidern, die von Kopf bis Fuss bemalt, völlig verschmiert und betrunken waren, die ausgelassen sich umarmten, tanzten – ein faszinierender und unglaublicher Anblick.

So erlebten wir die „Fiesta recibimiento medico 2017“. Es handelt sich dabei um ein Ritual, dass sich jedes Jahr am 31. Juli an der gleichen Stelle wiederholt. Schon am Mittag treffen die ersten Gruppen von Absolventen des Medizinstudiums auf der Plaza beim Mercado del Puerto ein. Viele von Ihnen werden von ihren Familien und Freunde begleitet. Alle haben sich für diesen Event spezielle Kostüme angezogen oder eben vollgeschmiert. Individualisierte Hemden mit Texten und/oder den Namen oder den Titel des Absolventen oder auch z.B. „ich bin der Vater von…“ sollen den Stolz der Familie kundtun.

Alkohol fliesst in Unmengen. Nebst dem Tanzen singen alle zur Musik und gratulieren den Absolventen. Aus Mehl und Eiern wird ein Haferschleim gemixt – damit werden die Absolventen (und auch andere) wortwörtlich eingeschleimt. Weiter werden sie auch mit Ketchup, Kaffee, Sonnenblumenöl und andere Lebensmittel begossen.
Im Laufe der Zeit feiern so 300 Studenten mit Familien, Freunden, Bekannten und Touristen wie wir am Corner Market. Der klebrige Brei klebt überall… unsere Schuhe waren nach Tagen noch nicht sauber zu kriegen. Zusätlich liegen am Boden Tonnen von leeren Flaschen, Abfall und noch vieles mehr…….

Um Punkt 22.00h ist der Spuk vorbei und die Reinigungsequippe trifft ein. Einige Stunden vergehen bis der Platz um den Mercado del Puerto einigermassen wieder sauber und begehbar ist.
Andere Länder – andere Sitten!!!

Eigentlich sind wir nach Montevideo gereist um vorwiegend Spanisch zu lernen. Und das machen wir auch und zwar „fleissig“. Wir fahren täglich mit dem Bus zur Schule, was praktisch 45 min. Zeit bedarf.

Bus fahren hier in Montevideo ist ein Abenteuer der speziellen Sorte! Noch während der Fahrt wird die vordere Türe (wo der Chauffeur sitzt) geöffnet. Angehalten wird zwar schon ungefähr dort wo die Haltestelle ist, jedoch einfach mitten auf der Strasse. Jetzt heisst es schnell – aber wirklich schnell – einsteigen und sofort irgendwo ganz fest festhalten. Denn kaum sind alle eingestiegen oder befinden sich auf den Einstiegstritt, fährt der Bus zügig und rumpelnd weiter. Die Türe ist noch offen und die Gefahr, dass unerfahrene Touristen den Salto nach aussen machen, ist gross. Vom Festhalten haben wir schon Oberarme im XL-Format!

Zurück aber zu uns und zur Schule: wir sind definitiv der Meinung, dass eine Sprachschule in jungen Jahren besucht werden sollte. Denn mit 60+ ist das Gehirn schon voll mit „Wissen“ bestückt und das Lernen wird viel schwieriger. Wir versuchen Platz zu schaffen mit der Delete-Taste – es gelingt uns jedoch nicht so gut. Trotzdem, wir halten durch – die Frage ist nur, ob unsere Lehrerin es auch tut. Die Arme, sie tut uns so leid.

Unser Tagesablauf wird von der Schule bestimmt. In der Regel, wenn es nicht regnet, verzichten wir auf die Retourfahrt mit dem Bus und spazieren der Rambla entlang. Es ist ein langer Weg, ca. 10km, doch es gibt immer wieder etwas zu bestaunen. Sei es eine Gruppe Rollschuhläuferinnen die gerade eine Kür einübt, oder Rollerblader die ihre Künste vorführen, die Vögel die momentan gerade nisten, die vielen Jogger in jeder Gewichtsklasse und in jedem Alter – von 15 bis 85 ist alles mit dabei – die schönen Parks usw. usw. Und der Wind kann wie verrückt blasen, es kann sein, dass armdicke Äste auf die Trottoirs und natürlich auch auf die Autos fliegen.

Spannend kann es auch sonst werden: wir haben einen Grosseinsatz der Polizei praktisch vor unserer Haustüre erlebt. Über ein Dutzend schwerst bewaffnete und vermummte Polizisten waren da – die Bösen Buben scheinbar auch. Ansonsten ist aber Montevideo im Gegensatz zu anderen Städten in Südamerika eine sichere und ruhige Stadt. Wir sind angenehm angetan von der Freundlichkeit der Menschen – überall wird gegrüsst, Danke und Bitte gesagt – ein Gegensatz zu Zürich.

Um den Schulalltag etwas zu durchbrechen, unternehmen wir jeweils am Wochenende einige Ausflüge. So haben wir z.B ein Busticket gelöst und sind die gut 2 1/4 h nach Punta del Este gefahren. Ausserhalb von Montevideo ist das Land flach, viele grosse Weiden und teilweise auch Wälder säumen die Strasse. Auf den Weiden sind viele Schafe und noch viel mehr Rinder. Das Land – so sagte man uns – habe 3.5 Mio Einwohner und ca. 12 Mio Rinder………

Punta del Este ist im Gegensatz zu Montevideo sehr modern, es hat viele schöne Ein- und Mehrfamilienhäuser, unzählige moderne Hochhäuser. Die Stadt ist sehr sauber, gepflegt und …… halt eben touristischer. Wir schlendern durch ganz Punta und geniessen das schöne Wetter. Denn schon bald müssen wir wieder zum Bus – Die Schule ruft!

Reisezeit: August 2017