alle anzeigen

03 – Sarah und Bulli – Legenden – Traditionen – Nostalgie

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Legenden

In ganz Argentinien sieht man am Strassenrand immer wieder kleine, mittlere und grosse Gebetshäuschen, alle sind mit roter Farbe angemalt und geschmückt mit ebenfalls roten Fahnen. Wasser, Kerzen und sonstige Gaben befinden sich ebenfalls vor Ort. Im Häuschen steht immer ein Puppen-Gaucho und die Aufschrift: Gracias Gauchito Gil.

Wir wussten, dass in Südamerika vielerorts einer Frau namens «Difunda Correa» gehuldigt wird, die im Jahr 1841 auf der Suche nach ihrem Mann angeblich in der Wüste Argentiniens verdurstete. Ihr Kind jedoch konnte dank der Muttermilch überleben. Es lag saugend an der Brust der toten Mutter als sie gefunden wurden. Die Argentinos bauen für sie auch kleine Häuschen, beten diese Figur an und bringen ihr reihenweise Wasser. Was aus dem geretteten Jungen wurde weiss niemand.

Aber Gauchito Gil? Unsere Neugier war geweckt und wir wollten unbedingt mehr über den Gauchito Gil wissen.
Die Abklärungen erwiesen sich als nicht ganz einfache Sache, denn die Legenden um Gauchito Gils Leben widersprechen sich zum Teil.

Alle Argentinier die wir bis dato interviewt haben sagten uns unisono, dass Gauchito Gil eine Art Patron der Strasse ist. Fährt man an einem Schrein vorbei, hupen viele Argentinos 3x um Gil zu begrüssen. Im Gegenzug hofft man auf eine unbeschwerliche und unfallfreie Reise. Nebst Patron der Strassen wird er auch als der argentinische Robin Hood gelobt.

Eine der Geschichte sagt, dass Gauchito Gil ein Landarbeiter war, der wegen eines Verhältnisses mit einer reichen Witwe in grosse Schwierigkeiten geriet (die Brüder der Witwe waren gegen ihn, sowie ein Polizist, der auch in die Witwe verliebt war). Um den Schwierigkeiten zu entgehen, schloss sich Gauchito Gil der Armee an und kämpfte im Tripel-Allianz-Krieg gegen die Streitkräfte Paraguays. Im späteren argentinischen Bürgerkrieg desertierte er, um nicht eigene Landsleute umbringen zu müssen und versteckte sich im Wald.
Nach manchen Legenden war er in dieser Zeit so etwas wie der argentinische Robin Hood – bestahl die Reichen und gab das Diebesgut den Armen.

Als er schliesslich doch gefangen wurde, hängte man ihn Kopf über an einen Baum, folterte ihn und als der Henker ihn töten wollte, sagte Gauchito Gil: «Wenn du willst, dass dein kranker Sohn wieder gesund wird, dann musst du zu mir beten, andernfalls wird dein Sohn sterben». Der Henker vollzog dennoch das Urteil und schnitt Gauchito Gil die Kehle durch.

Als der Henker nach Hause kam, lag sein Sohn tatsächlich im Sterben. Er erinnerte sich an die Worte von Gauchito Gil und er betete zu ihn. Und siehe da – sein Sohn wurde wie durch ein Wunder wieder gesund. Der Henker baute dem für ihn Heiligen ein kleines Heiligtum (heute die Hauptpilgerstätte in Corrientes) und erzählte allen Leuten vom wundersamen Gauchito Gil.

An seinem Todestag, dem 8. Januar, findet ein grosses Fest zu seinen Ehren statt, an dem getrunken, gesungen und getanzt wird. Ausserdem gibt es Pilgerreisen zum Pilgerort in Corrientes, um den Heiligen (der allerdings nie heilig gesprochen wurde) um einen Gefallen zu bitten.

Viele Vorbeifahrende bringen unzählige Gaben, Wasserflaschen, Kerzen – einige putzen sich richtig raus und tragen rote Tücher – bleiben an den Schreinen stehen und halten kurze Zeit inne. Sogar Kurt hupt ab und zu beim Vorbeifahren!

Gauchito Gil Alias Robin Hood – eine Legende, die bis zum heutigen Tag als Hoffnungsanker geehrt wird.

Traditionen

Jedes Jahr Anfangs November findet in Argentinien vielerorts das Gaucho Traditionsfest statt. Wir möchten ein solches Fest unbedingt dokumentieren und bitten Joly und Kurt, ihre Reise entsprechend zu planen.

Und so stehen wir, ausgerüstet mit Block, Kugelschreiber, Fotoapparat und viel Neugier um Punkt 11.00Uhr auf der Piazza im Dorf „El Hoya“ (ca. 15 km von El Bolson entfernt) wo das Defilee der Gauchos gemäss Plan starten sollte. Es sind gerade mal 6 Gauchos mit ihren Pferden anwesend. Hhmmm….. haben wir uns eventuell im Tag verschaut? Nein, bestätigt uns der Prospekt und ein Gaucho den wir fragen.

Und so warten wir einfach – eine halbe Stunde später kommt der Gärtner um die Festwiese zu mähen. Aha….ob da doch noch was geht? Nach einer weiteren halben Stunde oder noch mehr treffen immer mehr Gauchos und Gauchas jeglichen Alters ein. Stolz schwenken sie jeweils ihre Barrio-Fahne. Als endlich die meisten Teilnehmer eingetroffen sind, ist es weit über 12.00 Uhr. Doch das kümmert niemanden und somit auch uns nicht. 11.00Uhr ist scheinbar nur eine Empfehlung und nur eine ungefähre Zeit…….

Das ganze Dorf ist mittlerweile eingetroffen – alle schön rausgeputzt und traditionell gekleidet. Das Defilee beginnt, wir trotten hinterher durch das ganze Dorf und müssen immer wieder einer „hinterlassenen Spur“ ausweichen. Anschliessend treffen alle auf der Festwiese ein (diese ist nun schon teilweise gemäht), wo das eigentliche Fest stattfindet und wo eine Parilla für die hungrigen Mäuler schon am Brutzeln ist.

Der Speaker auf dem Podium begrüsst alle Teilnehmer und gibt das Wort dem Bürgermeister, welcher offiziell das diesjährige Gaucho-Fest eröffnet. Die Nationalhymne ertönt aus den üblichen zu laut eingestellten Lautsprechern – unsere Ohren schmerzen – die Fahne wird von Hand gehisst, alle Argentinier egal wie alt stehen auf, ziehen das Beret ab – die rechte Hand auf die Brust und singen mit Inbrunst „Hört, ihr Sterblichen! Den geheiligten Ruf: Freiheit, Freiheit, Freiheit usw. usw.!“ Ganze 9 Strophen dauert das „Spektaktel – und nichts wird gekürzt!

Inzwischen ist es 14.00Uhr, Zeit für die Traditionstänze. Beim Anblick der Tänzerinnen und Tänzer und deren Trachten sind wir verwirrt. Wir wissen nicht so recht was wir auf unsere Blöcke schreiben sollen… In der Schweiz würden die Darsteller von der Presse als „Laien“ zerstückelt und vom Publikum mindestens gedanklich mit Eiern beworfen werden. Aber hier, in diesem friedlichen 3000 Menschen-Dorf, geht es nur ums Zusammensein und gemeinsam das Fest zu feiern.

Danach finden die Spiele mit den Pferden statt. Gauchas und Gauchos jeglichen Alters sollen dabei ihr Können zeigen. Es geht um die Führung, die Geschicklichkeit und die Harmonie zwischen Reiter und Ross. Uns haben besonders die Kleinsten beeindruckt. Stolz sitzen sie auf das Ross als würden sie den ganzen Tag nichts anderes tun. Grossartig!

Beim ersten Spiel reiten alle im Kreis und wenn die Musik aufhört zu spielen, muss jeder einen Sitzplatz einnehmen – nur: ein Sitz ist weniger als die Anzahl der Teilnehmer (alle kennen dieses Spiel). Das Spiel sollte mit einer Polka begleitet werden doch im Musikrepertoire ist keine Polka😊…Was nun? Was für uns Perfektionisten ein grosses Problem wäre wird von den Argentinos ganz einfach gelöst. Der Speaker fragt einfach in die Menge ob jemand Polka mit der Handorgel spielen kann – und da sich niemand meldet, nimmt er kurzerhand die Handorgel und improvisiert mehr schlecht als recht Polkas.

Auch hier interessiert sich niemand für die falschen Töne. Die Reiter geben alles, die Menge jubelt und die Frauen bewegen ihre üppigen Hüften und Bäuche im Takt der Melodie. Vor allem die „El Hoyanerinnen“ zeigen gerne ihr Hab und Gut an Bauch und Hüften. Und davon haben sie jede Menge….. Zudem haben viele schlechte oder gar keine Zähne (auch Junge). Wir haben die Vermutung, dass die Fortpflanzung in diesem Dorf in relativ naher Blutsverwandtschaft stattfindet.

Ein weiteres Spiel ist das „Slalomreiten“ um die Ölfässer. Es ist unglaublich, mit welcher Geschicklichkeit Reiter und Pferd die Aufgabe meistern – alle geben alles.

An diesem Anlass haben wir einmal mehr die Einfachheit schätzen gelernt. Nicht die Perfektion sondern die Herzlichkeit und das Beisammensein zählt. Wir fühlen uns richtig sauwohl und so schlendern wir stundenlang durch das Fest, essen Choripan (Chorizo y Pan) und geniessen das friedliche und ehrliche Traditionsfest.

Nostalgie

Sport gehört in Argentinien zu den beliebten Freizeitaktivitäten. Nebst Fussball, der hier mehr eine nationale Leidenschaft, schier schon Religion als ein Spiel ist, gehört unter vielen anderen auch der Motorrennsport dazu.

Im Jahr 1986, als eine Gruppe von Enthusiasten nach Brescia reiste um an der dortigen Mille Miglia teilzunehmen, entstand die Idee, eine Competition von Sportwagen in der argentinischen Republik nach dem Vorbild der Italiener durchzuführen. Im 1989 wurde der Traum wahr und dank dem Club de Automóviles wurden zum ersten Mal die ersten 1000 Millas in der Argentinischen Republik gefahren.

150 Oldtimer die bis 1981 mit dem Pass F.I.V.A (WELTVERBAND DER LÄNDER-CLUBS FÜR HISTORISCHE FAHRZEUGE) in ihren jeweiligen Kategorien hergestellt wurden, legen in drei Tagen durch einzigartigen Landschaften, zwischen Seen, Tälern und Bergen der Patagonia Argentina, die schönsten 1’600 km zurück.

Der diesjährige Event fand Anfangs November statt und weil der Zufall so schön „mitfährt“, kreuzten sich auf der 2. Etappe unsere Wege und so konnten wir die wunderschönen, rausgeputzten Oldtimer, die das Herz jeder Automobil-Fan schneller schlagen lässt, bewundern und für unsere Leser dokumentieren.

Mehr dazu unter:https://www.1000millas.com.ar/default.aspx

Gerne zeigen wir euch einige Fahrzeuge, zusammen mit Oldtimern, welche wir in einem kleinen Privatmuseeum auf dem Weg angetroffen haben. Der Besitzer (74) kaufte vor einigen Jahren alte Studebakers und hat heute eine fantastische Sammlung davon.
P.S. für den angehenden „Brünig-Schwicky“: nimm dir ein Beispiel 😊 (vielleicht klappt es ja auch mit weissen 911-ern).

Mil Millas:

Oldtimer-Museum:

Von Sara und Bulli aus Argentinien / November 2017