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07 – CH – Traumstrassen, ihre Tücken und anderes….

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Liebe Freunde, Bekannte und unbekannte Leser – wir verzichten ganz bewusst auf die üblichen Neujahrswünsche und die ach so intelligenten und überflüssigen Vorsätze – denn wie wir alle aus jahrelanger Erfahrung bestens wissen, kommt es 1. anders und 2. als man denkt und 3. überhaupt… Also, lassen wir es doch einfach so wie es ist und machen weiter wie bis anhin!

Sprinti hat sich nach den anfänglichen Schwierigkeiten, im Gegensatz zu uns, an die Rüttelpisten gewöhnt, er ist mittlerweile abgehärtet und recht fit. Er verliert zwar im Innenraum immer wieder irgendwelche Schrauben die wir nicht zuordnen können und wir befürchten, dass uns irgendwann und zum unpassendsten Moment ein Möbelstück um die Ohren fliegt ☹, doch auf der Piste ist er TOP!

Trotzdem versuchen wir, Sprinti aber vor allem uns zu schonen und umfahren wenn möglich die teilweise echt groben Schotter- und Staubpisten. Diese (3xF) feinen, festen und fiesen Partikeln schleichen sich unerbittlich und unaufhaltsam ins Interieur und beschlagnahmen jeden kleinsten Winkel vom Wohn- und Fahrbereich. Auch unsere Hälse, Nasenlöcher und Ohren werden nicht verschont.

Leckerbissen für Schadenfreudige: einmal fanden wir eine Grosstankstelle, welche sogar nach längerem Bitten Pressluft zur Verfügung stellte. Kurt blies mit dem Ding unser Haus so richtig durch – es war «fast sauber». Am Schluss kam er auf die glorreiche Idee, die beiden Lüftungen (Kochen, Kühlschrank) ebenfalls auszublasen. Er montierte die Bleche aussen weg und blies was das Zeug hielt – und es kamen Unmengen von Staub raus. Super – dachten wir. Als alles wieder montiert war, schaute Kurt zufällig in eine Schublade. Der gesamte Inhalt war völlig zugedeckt mit Staub – bei jeder Schublade dasselbe. Unmengen von Staub, ein Mehrfaches mehr als vorher. «Mer mached’s nomoool……….». Ab jetzt bläst Kurt nur noch vom Innenraum gegen aussen, auch bei den Lüftungen 😊.

Leider ist das Umfahren von Schotterpisten in Süd-Chile eine unmögliche Angelegenheit. Die einzige Strasse welche in den Süden führt, das heisst von Puerto Montt nach Villa O’Higgins, ist die Ruta 7 oder besser bekannt als die «Carretera Austral».

Wir haben keine Wahl! Wir werden gezwungen uns wie «Bandidos» einzuhüllen – und ab geht’s zum Staub- und Rüttel-Adventure auf eine der Traumstrassen Südamerikas. Wir hoffen, dass keine Polizeikontrolle uns aufhält – denn kaum eine ach so gescheite Erklärung würde unsere Maskierung rechtfertigen – es ist noch nicht Karneval!

Wir starten in Chaiten Richtung Süden, ohne Verkleidung, denn hier ist die Carretera – noch – asphaltiert. Dafür regnet’s – in Strömen und das seit 3 vollen Tagen! So richtig heftig. Kleine Erdrutsche und entgegenfliessende Bäche erschweren uns die Durchfahrt. Unmengen von Wasserfällen stürzen auf die Strasse und in die Tiefe. Auf dem letzten Zacken gelingt es uns gerade noch über den Pass zu fahren. Wir sind uns sicher, dass dieser Pass gesperrt wird, diese Wassermengen übersteht keine Strasse – auch nicht die Carretera.

Kurz nach Puyuhuapi müssen wir auf die Fähre ausweichen – ein Erdrutsch der gröberen Sorte hat die Strasse verschüttet und eine Brücke ist infolge eines Unfalles kollabiert. Zwei grosse Laster wollten auf ihr gegenseitig ihre Kräfte messen – alle drei haben verloren. Die Wiederaufbauarbeiten sollen noch einige Monate dauern.

Zwei Tage später als wir am Nachmittag Villa Cerro Castillo erreichen, erfahren wir, dass Villa Santa Lucia, ein Dorf mit weniger als 300 Einwohner, welches wir unmittelbar vorher passiert haben, durch einen Erdrutsch massiv zerstört wurde. www.welt.de/newsticker/news1/article171659303/Mindestens-fuenf-Tote-bei-Erdrutsch-in-Chile.html

Das stimmt uns sehr traurig – die Menschen in Chile werden immer wieder durch Naturkatastrophen (sei es Vulkanausbrüche, Erdbeben oder eben Erdrutsche) durchgerüttelt. Und doch finden sie immer wieder die Kraft von vorne anzufangen. Einfach bewundernswert!

Kleine Randnotiz von wegen „die Welt ist informiert“! Wir lesen in den internationalen Zeitungen, dass bei diesem Erdrutsch 3-5 Menschen gestorben seien und ein paar vermisst würden. Hier vor Ort sprach man von 5, dann 9 dann 13 Toten und etwa 25 Vermissten… so viel zu den ach so zuverlässigen Informationen.

Ab Villa Cerro Castillo ist Schluss mit asphaltierter Strasse – ab hier ist nur noch Rüttelpiste und unendlich Staub angesagt! Der Weg schlängelt sich wunderschön dem Rio Ibanez entlang. Das einzige was diese wunderschöne Landschaft beeinträchtigt sind die immer noch sichtbaren Spuren des Vulkanausbruches (Hudson) vom Oktober 1991. Damals wurden Unmengen an vulkanische Lockermassen in die Luft geschleudert. Teile der Gletscher schmolzen, sodass sich eine riesige Schlammlawine in die Täler ergoss. Die Bewohner konnten zum Glück vorher evakuiert werden, doch die Asche verteilte sich über grosse Bereiche Chiles, Argentiniens bis zu den Isla Malvinas. Ein Tal, welches wir vor 10 Jahren schon durchfuhren und eben wieder, hatte eine Schlammschicht von über 4 m Höhe. Die Natur erholt sich zum Glück, jedoch sehr langsam.

Im Zickzack schlängelt sich die Carretera weiter am Rio Murta entlang bis zum Lago General Carrera. Smaragdgrünes Wasser und fantastische Sonnenuntergänge machen aus den Lago General Carrera ein absolutes Highlight der Strecke. Als wir dort ankommen, liegt über den Lago eine magische Stimmung. Ich sage zu Kurt: „Es fehlt nur noch „das Tüpfli uf em i“, ein Regenbogen“. Und da Kurt für mich beinahe alles tut, zaubert er ganz alleine für mich einen wunderschönen Regenbogen! 😊

Von Puerto Tranquillo, einem kleinen Dörfchen am Lago General Carrera, besuchen wir auf einer abenteuerlichen und welligen Bootsfahrt (auf der sich Kurt beinahe eine 4. Bandscheibe rausknallt) die berühmten Marmorhöhlen. Die Bootsführer veranstalten ungeachtet vom Wellengang und ihren Gästen kleine Rennen – wir müssen uns ganz schön festhalten um nicht aus dem Boot geschleudert zu werden.

Die Marmorhöhlen sind eine Gruppe von kleinen Inseln und sind ein Naturphänomen. Während tausenden von Jahren wurden sie von Wind und Wasser mit enormer Kraft gepeitscht und geformt, bis die Marmorschichten freigelegt waren. Eine Vielfalt an graublauen, rosa und weissen Strukturen (Calciumcarbonat, Quarz und Limonit) verschmelzen ineinander – das smaragdgrüne Wasser spiegelt sich an den Wänden – das Tageslicht beleuchtet die unregelmässigen Öffnungen in den Höhlen und lassen sie in einem ganz speziellen Effekt erstrahlen.

Um der Kälte und Regen auszuweichen, verlassen wir kurz vor Cochrane die Carretera Austral. Auf der Ruta X-83 fahren wir durch das Chacabuco-Tal, um die Grenze nach Argentinien zu passieren.

Die drei Tage die wir durch das Tal Chacabuco (eine Strecke von 138Km) und der Strasse RP 41 bis zum Pueblo Lago Posadas gefahren sind, waren für uns etwas vom Schönsten, das wir landschaftlich hier gesehen haben. Ganz speziell sind für uns die ab und zu auftauchenden (mehr oder weniger) Wildpferdherden, die hier noch zu finden sind. Obwohl wir vor 10 Jahren hier auch schon (mit einer Gruppe) durchgefahren sind, ist es für uns ein völlig anderes Erlebnis – selber „erfahren“ ist halt definitiv etwas anderes, als gefahren zu werden.

Wir möchten Euch in Kurzform berichten, wie es zu diesem einmaligen, wunderschönen und nun geschützten Tal kam:

Die Estancia Chacabuco, ursprünglich eine der grössten Schafhaltung der Region, wechselte mehrere Male den Besitzer. Immer wieder wurde das Land überweidet und ausgelaugt.

Als die Gebrüder Kris und Doug Tompkins (The North Face) zum ersten Mal im 1995 die Valle Chacabuco besuchten, verliebten sie sich sofort in diese Landschaft. Die CONAF (Corporación Nacional Forestal) hatte bereits die Notwendigkeit erkannt, dass dieses einzigartige und biologisch vielfältige Oekosystem geschützt werden müsste. Doch die Finanzen fehlten…

2004 erwirbt Doug Tompkins die ca. 70‘000 ha grosse Schaffarm Estancia Valle Chacabuco und startet das Projekt für den zukünftigen Patagonien-Nationalpark, der darauf abzielt, eine Passage für die Tierwelt zur Reserva Jeinimeni im Norden und die Reserva Tamango im Süden, die bis anhin blockiert war zu öffnen. Die drei Gebiete sollten zu einem riesigen Nationalpark werden. Tompkins vermachte dem Staat das Gebiet, um es als Naturparadies „für immer“ zu schützen.

2015, nach einem Jahrzehnt der Bemühungen zur Wiederherstellung der Landschaft, zur Erholung der Tierwelt und zum Bau der öffentlichen Infrastruktur, wurde der Parque Patagonia offiziell eingeweiht – gerade noch rechtzeitig bevor Tompkins am 8. Dezember 2015 starb.

Nun sind wir wieder auf der berühmten Ruta 40 und fahren weiter in Richtung Süden. Uns begleitet eine unendliche, weite und öde Steppe. Wir befinden uns im Niemandsland… Die Strasse ändert immer wieder zwischen Ripio, Schlamm und Asphalt. Und da wir nicht wissen, wie lange jeweils der aktuelle Strassenzustand ist müssen wir anhalten, um aus den Reifen die Luft je nach dem abzulassen oder wieder mit dem Kompressor aufzupumpen. Eine Windstärke von mehr als 70 km/h bläst uns beinahe weg und wir sind erlöst, als wir endlich in El Chaltén ankommen.

P.S. wenn man einen solchen Rückenwind hat – auf staubigen Ripiostrassen – ist das NICHT TOLL. Denn wir fahren vielleicht 30, mal 40 km/h. Der wesentlich stärkere Rückenwind bläst den ver… Staub nun von hinten in jede noch freie Ritze – damit wir ja nicht zur Ruhe kommen mit dem Saubermachen…… Grrrrrrr☹☹☹

Beim Dorfeingang erleben wir nach 10 Jahren ein richtiges Déjà-vu. El Chaltén hat sich nicht gross verändert. Die „Cerveceria“ wo wir schon damals „Bier vor und nach vier tranken“, sieht immer noch identisch aus. Die Hauptstrasse ist jetzt asphaltiert doch links und rechts befinden sich immer noch die ähnlichen Souvenirs- und Klamottenläden. In den Wolken verhangen thront der gewaltige Granitdom Fitz Roy über dem kleinen Bergsteigerdorf. Kondore kreisen über uns – in unserem Hochgefühl interpretieren wir es als „Welcome back“!

Wir können es kaum erwarten unsere Wanderschuhe zu schnüren… und obwohl gegenüber früher die Touren kürzer – dafür die Pausen länger sein werden, wird uns möglicherweise ein brutaler Muskelkater einige Tage begleiten. Doch was sein muss – muss sein!

Hasta la proxima
Reisezeit: Dezember 2017 / Januar 2018