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04 – AR – Begegnungen

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Von Westen nach Osten

Puerto Madryn liegt am Atlantik und ist für viele Argentinier Bade- und Ferienort . Auch als Ausgangspunkt für Touren auf die Halbinsel Valdés mit ihrer intakten Tierwelt ist sie bedeutend und als Tauchmetropole hat sich die Stadt international ebenfalls einen Namen gemacht. Als wir dort waren, war die Badesaison noch nicht geöffnet. Doch wir konnten es uns sehr gut vorstellen, wie in der Hochsaison hier die Sonnenschirme sich um ein Plätzchen streiten.

Ansonsten ist die Stadt für uns keine Schönheit – kaum zweigt man von der Hauptstrasse ab, sind die Strassen nicht mehr asphaltiert und da es hier nicht so oft regnet, sind sie entsprechend staubig und rumpelig.

An der windigen und sandigen Strandpromenade befinden sich viele schöne Cafés und Restaurant die zum Verweilen einladen. Auch wir verweilen gerne, vor allem dort wo ein guter Ristretto oder Cappuccino serviert wird. Und das finden wir bei George, im Café Bonafide. George ist ein passionierter Reisender wie wir und als er unsere Begeisterung für Argentinien spürt, ist er sofort ein Fan von uns. Er zeigt uns etliche Videos über «MUST in AR» zudem gibt er uns viele einheimische und wertvolle Reisetipps. Zum Abschied schenkt er uns noch ein spezielles Bier – das heisst: «me echó la burra» = «es trat mich die Eselin» siehe auch: https://elbarondelascervezas.blogspot.com.ar/2012/06/me-echo-la-burra.html , wünscht uns gute Reise und wir sollen in El Bolson auf keinen Fall die Cerveza Artesana und die Schokolade verpassen.

Ebenfalls auf George’s Empfehlung fahren wir – gemeinsam mit Andrea und Thomas, zwei sympathische Reisende aus Deutschland, welche wir unterwegs kennen gelernt haben – nach Puerto Rawson, wo anscheinend die besten Langustinen herkommen. Kurt – als überzeugter Schalentier-Abstinenzler – ist überhaupt nicht begeistert, ich kann mich aber durchsetzen😊

Dort angekommen, kaufen wir am Hafen – und frisch gefischt – 2kg Langustinen!!! (für 4 Personen) für ganze 300 Pesos (CHF 17.–) Wir wollen sie auf offenem Feuer brutzeln – Kurt rümpft die Nase und sagt: «Für mich bitte ein Lomo, noch besser zwei!»

In Puerto Rawson, einem verlassenen Fischerdorf und sehr sehr windig gefällt es uns nicht, deshalb fahren wir weiter nach Playa Isla Escondita. Von anderen Reisenden haben wir gehört, dass es dort sehr schön und ruhig ist und dass man dort hautnah See-Elefanten bestaunen kann. Und tatsächlich: Der Strand ist wunderschön und wir sind beinahe alleine. Es ist Samstag, den 14. Oktober – wenige Einheimische, mit unterschiedlichen und fantasievollen Reisemobilen befinden sich ebenfalls an diesem idyllischen Ort und wir können tatsächlich die See-Elefanten von sehr nahe (2 Meter) bestaunen. Hier leben 2 Kolonien. Bei einer davon haben wir 25 Weibchen jeweils mit je 1 Jungen gezählt. Der Harem wird durch einen Macho überwacht und falls notwendig buchstäblich bis aufs Blut gegen die jungen Möchtegerns verteidigt.

Das Wetter ist sehr schön und der patagonische Wind bläst praktisch überall, aber zum Glück nicht hier – für uns die allerbesten Bedingungen, um ein paar Tage hier zu verweilen. Wir legen unseren Teppich «vor unser Haus», rollen den Storen aus, holen unsere Stühle und machen das Feuer für die Langustinen. Lecker sehen sie aus und nach langem Drängen lässt sich Kurt erweichen und er probiert eine davon. Aus einer werden zwei, dann drei, dann…… am Schluss müssen wir für unseren Anteil richtig kämpfen. Zum Glück haben wir von den See-Elefanten-Machos gelernt wie das geht…….

Das Kochen am offenen Feuer und das Holz dafür einzusammeln (übrigens Holz ist hier eine wertvolle Rarität – und entsprechend «Frauensache») macht richtig Spass und so entscheiden wir uns, solange das Wetter mitmacht, auch Pizza und Brot zu backen. Wir fühlen uns wie Tom Hanks im Film Cast Avay – «Ich habe Feuer gemacht!»

Am Sonntag erleben wir dann etwas Besonderes. Busse, Autos, Quads und weiss ich noch was und wie sie alle heissen kommen daher gefahren – daraus steigen viele Argentinos! Ganze Sippen, Mütter, Väter, Schwiegermütter, Schwiegerväter, Abuelas, Abuelos und natürlich der ach so wertvolle Nachwuchs und beschlagnahmen «unsere» Isla Escondita, die aber scheinbar alles andere als escondita ist. Wir haben über 60 grosse Fahrzeuge gezählt. Was wir nicht wussten oder besser gesagt nicht wissen konnten ist, dass der Montag, den 16. Oktober hier in Argentinien ein «dia feriado» ist und die Argentinier dann eine Brücke machen. Jänu, Pech gehabt!
Dafür werden wir aber am Montag-Abend reichlich entschädigt und wir können mit einer gewissen Schadenfreude aus unseren Stühlen locker und bequem beobachten, wie die ganzen Sippen sich in die Fahrzeuge drängen und wieder weg fahren – Juhui, der Strand gehört wieder uns und den See-Elefanten!

Zwei Tage später verabschieden wir uns von Andrea und Thomas. Sie ziehen Richtung Süden – wir Richtung Westen. Und so gelangen wir über Trelew nach Gaiman, ein hübsches Dörfchen mit walisischer Vergangenheit und entsprechendem Charakter. Die knapp 10’000 Gaimanes pflegen walisische Traditionen wie z.B. das Eisteddfod, ein Festival mit Tanz, Gesang und Poesie. Speziell an diesem Ort ist, dass in einigen Schulen die walisische Sprache gleichberechtigt dem Spanischen gelehrt wird. Zudem kommen Waliser nach Gaiman um die alte walisische Sprache hier zu lernen!!! Auch sonst hat Gaiman viel zu bieten. So z.B. der im 1914 eröffneten Eisenbahntunnel mit seinem berühmten Knick oder das älteste Haus aus dem Jahr 1874, die Teestube Ty Te Caerdydd, in der Lady Di zu Besuch war. Es ist schön, die gepflegten Gärten mit Rosen zu sehen und so schlendern wir am Abend durch das Dorf und landen in der Panaderia Siep Bara wo wir einen Schlummertrunk (Coca-Cola) zu uns nehmen. Plötzlich kommt ein Señor zu uns und fragt: «Wart ihr am letzten Montag an der Playa Isla Escondita? Mit einem grauen Motorhome und einer im leichten Wind wehender Schweizer-Fahne?» (Ja… wir sind echte Patrioten – ein Stückchen Schweiz ist immer bei uns). Kurt und ich schauen uns an und können nur noch eins…. staunen und nochmals staunen (hier gilt wohl auch «big brother is….»).

Der Señor heisst German und ist der Besitzer der Panaderia und war einer von denen, die am Montag-Abend mit seiner Sippe beim Wegfahren an uns vorbeifuhr und winkte. So klein kann die grosse Welt sein – liegen die beiden Orte doch über 80km auseinander……
Was wir noch nicht wissen ist, dass die Begegnung mit German etwas Besonderes werden wird. Er will unbedingt seine Stadt und die Umgebung mittels Privatführung durch ihn zeigen. So lernen wir versteckte Orte und viele nette Menschen kennen, die wir ansonsten nie im Leben gesehen oder kennen gelernt hätten. Durch German lernen wir auch Lilly kennen. Lilly führt als Freiwillige das CAF (Centro de accion familiar). In diesem Centro finden mehr als 40 Kinder (das jüngste ist gerade 3 Tage alt) welche aus äusserst schwierigen Familienverhältnissen kommen, eine liebevolle Betreuung und eine sichere Mahlzeit pro Tag. Nachdem wir uns die Institution angesehen haben, entscheiden wir uns, das Projekt zu unterstützen. Siehe auch: https://suitaontour.com/projekt-caf-gaiman-ar/

Durch unsere Besorgungen für das Projekt lernen wir auch Franco von der Metzgerei und seine Familie kennen. Wir kaufen «einen Viertel eines Rindes» für das CAF. Sie sind total begeistert von unserer Projektidee und laden uns ein, ihre Chacra (Bauernhof) anzuschauen.
Kühe, Schweine, Pferde, Hühner, Hunde, Katzen etc. leben friedlich auf den Hof. Uns wird alles gezeigt und als wäre das nicht genug, wollen sie unbedingt, dass wir mit Ihnen zusammen am Abend bei sich zu Hause eine Parilla essen (typischer Grillschmaus auf argentinisch). Diese herzliche Spontaneität berührt uns zutiefst und macht uns verlegen. Als Abschied erhalten wir von Mutter Elena noch 2 selber getöpferte Kaffeetassen und sie sagt: «Danke, ihr seid gute Menschen».

Eigentlich wollten wir in Gaiman nur Wasser tanken und allenfalls eine Nacht bleiben. German und die dadurch entstandenen Begegnungen haben unsere Pläne auf wunderschöne Art verändert. Mit Tränen in den Augen verabschieden wir uns am Freitag von German und Lilly – doch German hat eine Überraschung für uns. Er wird im November am Rio Pico, 250 km südlich von Esquel fischen gehen und er will unbedingt, dass wir uns dort treffen – aber gerne doch!!!

Wir verlassen die Ruta 25 um einen Abstecher nach Dique F. Ameghino, einem Dorf mit 140 Menschen zu machen. Kaum haben wir die Strasse verlassen taucht vor uns eine neue Welt auf. Durch den Stau des Rio Chubuts hat sich hier ein zerklüfteter See gebildet. Wunderschöne und farbige Schluchten säumen den Rio in Richtung Atlantik und machen aus dem Ort eine grüne Oase inmitten des Nada. Wir sind von diesem Ort bezaubert und so entscheiden wir, eine Nacht hier zu bleiben. Kaum eine Menschenseele sehen wir und das einzige offene Restaurant macht erst «um ca. 20h» auf. Als der Grilleur endlich den Grill «anwirft» und wir essen können, ist es kurz vor 22h. Bienvenido en Argentina.

Kurz vor Paso Indio auf der Ruta 25 zweigen wir auf die RP 12 Richtung Paso del Sapo und Piedra Parada ab. Wir haben gehört, dass diese Ruta welche sich dem Rio Chubut entlang schlängelt, sehr schön sein soll. Und das ist sie auch – und nicht nur das – die Ruta 12 ist auch eine «Heilstrasse» für uns. Sie vernichtet meine Orangenhaut und massiert Kurt’s Bandscheiben durch und durch ……… Um die «Heilfähigkeiten» auch wirklich auszukosten, beschränkt Kurt die Geschwindigkeit auf fallweise Schritttempo oder bis max. 30 – 60 km/Std. und so können wir die riesigen Felswände, die je nach Sonneneinstrahlung einmal grün, gelb, rot, violett oder sogar hellblau glänzen, voll und ganz auskosten. Wir sind fasziniert von dieser Landschaft – sie erinnert uns an Monument Valley und die Canyons in Colorado/Utah USA.
So als kleine Grössenordnung: auf der Ruta 12 hatten wir «enormen Verkehr»: ca. alle 2h ein Auto. Zudem haben wir die RP-Strassen von «Ruta Provincial» auf „Ripio-Strassen“ umgetauft😊.

Es wird langsam dunkler und wir wollen unbedingt die Nacht am Rio Chubut verbringen und wir beginnen langsam, Ausschau für unser Nachtlager zu halten. Leider sind die Wege die vom «Ripio 12» abzweigen und zum Rio führen abgesperrt und im Privatbesitz. Wir suchen weiter und haben Glück – ein Weg ist offen und die Beschriftung «Chacra Berwyn» liegt zerstört am Boden und so denken wir, es sei kein Privatbesitz mehr und fahren durch, Richtung Fluss. Kaum sind wir 1 Km gefahren müssen wir kapitulieren – nein, diesmal kein Schlamm – sondern eine heruntergekommene Holzbrücke und danach ein verschlossenes Tor. Ziemlich enttäuscht entscheiden wir gezwungenermassen, vor der Brücke an einem windgeschützten Ort unser Nachtlager aufzuschlagen. Wir sind gerade beim Apero als wir ein Auto kommen hören – das Auto fährt an uns vorbei – das Auto kommt wieder zurück…… Uiuiui, wenn das nur gut kommt denken wir, ich steige aus und warte bis das Auto bei mir ist. Ein älterer hagerer Mann steigt aus, er gibt mir keine Zeit um zu fragen ob wir hier die Nacht verbringen können. Schon stellt er sich als Arturo Berwyn, der Dueño dieses Landes vor und wir sollen ihn folgen, er habe für uns einen schöneren Ort, direkt am Rio Chubut wo wir die Nacht verbringen können!!! Zudem hat er am Rio eine Cabaña die er uns ebenfalls für die Nacht zur Verfügung stellt. Über die zerfallene Holzbrücke, die gemäss Arturo Berwyn „sicher einen 10-Tönner verkraftet“, fahren wir weiter bis zum Rio. Gemeinsam mit seiner Frau trinken wir dort ein Bier und tauschen uns über Herkunft und Reiseziele aus bevor er sich von uns verabschiedet und sagt, wir sollen uns wie zuhause fühlen und bitte morgen einfach das Tor wieder hinter uns schliessen.

Wir sind jetzt dort wo wir sein wollten, direkt am Rio Chubut der langsam vor uns in Richtung Osten fliesst. Die Landschaft strahlt in der Abendsonne und die Vögel streiten sich um ein Schlafplatz. Wir stehen da, schauen uns fassungslos an und können die Gefühle für diese enzigartige Begegnung nicht mit Worten beschreiben. Wir sind einfach dankbar und unternehmen einen langen Spaziergang über die Tenuta Berwyn. Dabei können wir Papageien und andere Vögel fotografieren. Ich halte Ausschau nach Gürteltieren – doch das einzige was ich sehen kann, sind flache und bis auf’s Skelett abgenagte Exemplare!

Auf der Tenuta steht auch ein Swimmingpool, der jetzt im Winter leer ist und warum auch immer, ich fühle mich dorthin angezogen. Ich steige die wenigen Treppen hoch und schaue in den mit Herbstblättern bedeckten Pool. Da sehe ich 2 Augen die mich anschauen………… ich kann kaum glauben was ich sehe – ein Gürteltier!!! Eigentlich wären es DREI, aber zwei sind schon tot. Sie sind irgendwie in das Schwimmbecken gefallen und sind wohl verdurstet und verhungert – das dritte lebt noch und muss gerettet werden. Doch wie rettet man ein wildes Gürteltier? Schääääätttttzzzzzlllliiiiiiiii……..

Ausgerüstet mit Handschuhen und grossen Tüchern (Holzhütte sei Dank), steigt Kurt in das Schwimmbecken und versucht das Gürteltier einzufangen. Doch das hat Angst und wehrt sich mit all seinen Kräften die noch vorhanden sind. Es braucht eine ganze Weile, doch am Ende gelingt es Kurt, dass sich das Gürteltier in einem Tuch verfängt und so kann es wieder in die Freiheit entlassen werden. Ich bin mega Stolz auf Kurt, den Gürteltierretter……

150 km vor Esquel (auf dem Ripio 12), mitten in der patagonischen Steppe und dem Chubut-Flusstal steht ein imposanter, rund 210 Meter hoher Vulkanstein. Piedra Parada heisst das Koloss. Der Ort war die Caldera eines uralten Vulkans, dessen Schornstein erstarrte und sehr eigentümliche Geoformen hervorbrachte. Eine unglaublich schöne Landschaft die zum Wandern einlädt. Wir sind zu Fuss einen drei Kilometer langen Canyon, der von 150 Meter hohen Mauern flankiert wird, in der Abendsonne spaziert und konnten so die Felsformation in allen Schattierungen bestaunen. Der Ort ist sehr bekannt als Paradies für Kletterer.

Nach einer Reise von 11 Tagen und ca. 1’000 km erreichen wir «durch- und durchmassiert und ohne Orangenhaut“ Esquel – die Westseite Argentiniens. Esquel ist eine sehr charmante Stadt mit ca. 30’000 Einwohner. Für uns sieht es ein wenig wie Chur aus. Eingerahmt von schneebedeckten Bergen, jedoch ohne Hochhäuser und wesentlich grösser. Ein wirklich beschauliches Bergstädtchen, das nur 12 km von einem Skigebiet (La Hoya), welches bis vor einer Woche noch Skibetrieb hatte, liegt. «Mer fühled eus es bitzeli wie diheime».
Wir übernachten an der Tankstelle, weil es hier Trinkwasser und eine Warmwasserdusche hat! Ist wieder mal Zeit 😊. Ebenfalls Zeit hat Kurt, den Luftfilter auszubauen und zu «entstauben». Wie es halt so ist im Leben, fällt ganz zum Schluss ein kleiner Torx-Schlüsselteil in den Motorraum. Keine Chance ihn zu finden – auch nicht mit rütteln und einer Fahrt. Dumm nur, dass man hier kaum die richtigen Schlüssel findet…………

Ab Esquel fährt auch der Old Patagonian Express, auch bekannt als «La Trochita», eine weltbekannte Schmalspur-Dampfeisenbahn (75cm). Der kleine Zug fährt nur noch als touristischen Service und jeweils nur 2x pro Woche. Das Wetter ist nicht auf unserer Seite und deshalb entscheiden wir, die Fahrt auf unserer Rückreise zu verschieben.

Für die nächsten 2 Nächte die wir in Esquel verbringen suchen wir uns einen schöneren Ort zum Übernachten. Den finden wir ca. 6 km oberhalb von Esquel entfernt bei der Laguna La Zeta. Wieder einmal ein wunderschöner Ort. Am See geniessen die Bisamratten die letzten Sonnenstrahlen, auf der Wiese weiden Pferde und Kühe. Unzählige Vogelarten zwitschern fröhlich und halten Ausschau für einen Nachtplatz. Wir sind im Paradies gelandet und sind beinahe alleine.

Die Strecke von Osten nach Westen hat uns mit traumhaften Landschaften beschert. Doch es waren die Begegnungen mit den herzlichen und spontanen Argentiniern die unser Leben prägen und bereichern.

Wir sind unendlich dankbar.

Reisezeit: Oktober 2017