Eigentlich wollten wir es nach der Ost-West-Ueberquerung etwas gemütlicher angehen. Hätte Kurt nicht vom schönsten Berg, respektive Vulkan Südamerikas gehört, wäre das (vielleicht) auch der Fall gewesen……doch nun war seine Neugier geweckt und somit nicht mehr zu bremsen. Er, der die Berge über alles liebt, wollte und musste unbedingt den Vulkan Lanin sehen – am liebsten besteigen…
Die Rute: Nationalpark Los Alerces, El Bolson, Bariloche, Villa La Angostura, San Martin de Los Andes, über den Paso Mamuil Malal nach Chile, Pucon, Villarica, Panguipulli, Osorno, Entre Lagos und wieder zurück nach Argentinien über den Paso Cardenal Samoré nach Villa Treful und zurück nach El Bolson.
«Schätzli, es sind bloss 1’400 Km sagt er ganz lieb zu mir, zudem können wir ein Stück der legendären Ruta 40 fahren – das war ja eh der Ursprungsgedanke unserer Reise – sagte er mit bittenden Augen. Auf dem Weg können wir einen Abstecher über die Ruta 75, welche durch den Nationalpark Los Alerces führt, machen. Du liebst ja Nationalpärke, Schätzli bitte…» Ich konnte dem Blick nicht widerstehen und liess mich, geknüpft an die Bedingung, in El Bolson die von George (siehe https://suitaontour.com/04-ar-begegnungen/) empfohlene Schokolade ausgiebig zu probieren, erweichen. (Schokolade??? Für Schweizer – in Argentinien? Hmmmmm…………..!!)
Ja – und das dauerte 4 Tage lang!!! Im JAUJA (DAS Café/Restaurant) verweilte ich – Schokolade in allen Variationen degustierend (wie bei Läderach) – und da ich nicht wusste welche die Beste ist, probierte ich sie einfach alle und kaufte für die Weiterreise von jeder Sorte mind. 1 kleine Tafel.
Das kostete ein Vermögen und Kurt war entsetzt – bis er das erste Täfelchen probierte – danach war ER nicht mehr zu bremsen……(war da nicht mal was mit den Langustinen???). Er, der stolze Schweizer-Schokofeinschmecker (Gianduja, LaDoRe, Sprüngli-Kugeln) ist heute überzeugt der Meinung, dass Läderach und Sprüngli hier noch etwas lernen könnten.
Beim Bier war Kurt an der Reihe. Nachdem er «einige» Sorten probiert hatte, blieb er bei der Marke AWKA hängen, beim ganz dunklen. Zum Glück wollte er den Vulkan sehen – sonst würde er jetzt womöglich im AWKA-Fass schwimmen.
Auch sonst hat uns El Bolson sehr gut gefallen. Ein friedliches Absteiger- (amor y paz) Städtchen – ausserhalb der Saison – denn während dieser muss hier scheinbar der Bär so richtig heftig tanzen (El Bolson ist die Haupstadt des Bieres). Und jeder der etwas auf sich hält braut sein eigenes Bier. Auf der Plaza findet 4x in der Woche eine «Feria de Artesanal» statt (Markt der Handarbeit). Vom Schmuck, Räucherstäbchen, Messer, hausgemachten Esswaren, traditionellen Musikinstrumenten und «Duendes» (Elfen) in allen Variationen ist hier so einiges zu finden. Die Duendes bringen Glück wird uns überzeugend erklärt – seither begleiten uns 3 davon auf unserer Reise!!
Kurt fühlte sich in die 68-er zurückversetzt, denn sehr viele Marktfahrerinnen sind wie damals angezogen und geschmückt. Janis Joplin und Woodstock lassen grüssen – wie die Zeiten sich doch wiederholen – oder ist sie hier womöglich stehen geblieben? 😊
Um die Gefahr zumindest etwas zu begrenzen, dass die Schokolade und das Bier die Hüften und den Bauch noch mehr betonen, wandern wir zum «Bosque Tallado» – diverse Künstler haben dort in die abgestorbenen Bäume Figuren geschnitzt. Doch bis dorthin müssen wir eine 7 km lange, äusserst ruppige Strasse bergauf fahren. Ich bin sehr nahe dran um auszusteigen – der ebenfalls eher übergewichtige Sprinti und Kurt müssen kräftig arbeiten und das meistern sie wie schon so oft souverän. Trotzdem blende ich die Retourfahrt ganz bewusst aus….
Der Fussweg zum Bosque Tallado schlängelt sich stets steil bergauf und ist anstrengend – so in etwa wie der Aufstieg auf den grossen Mythen – wir sind gespannt welche Kunst uns auf dieser Höhe erwartet. Umso mehr staunen wir, als der Eingang zum Bosque Tallado sich uns öffnet.
Blitzartig werden wir in eine andere Welt katapultiert. Der Boden knistert unter unseren Füssen, die Bäume sind mit «Barba de Indio» (Flechten) bedeckt, eine unglaubliche Stille herrscht, einzig Spechte klopfen ein Nest in einen hohlen Baum, kleine Nebelfelder bilden sich…. Träumen wir oder sind wir tatsächlich im Land der «Duendes» gelandet? Langsam und flüsternd, um die «Duendes» nicht zu erschrecken, schweben wir fast durch diese magische Welt und bewundern die einmaligen Skulpturen.
Als wir uns vom Bosque Tallado verabschieden, verhüllt heftiger Schneegraupel den Ausgang. Verzaubert verlassen wir diesen Ort – uns begleitet eine tiefe Zufriedenheit – einmal mehr sind wir einfach dankbar für dieses etwas spezielle Erlebnis.
Vollbetankt mit Diesel, Wasser, Gas und nebst der Schokolade und Bier auch anderen Lebensmitteln, starten wir in Richtung Vulkan Lanin.
Der Weg führt uns über den Nationalpark Los Alerces. Namensgeber dieses herrlichen Nationalparks ist die immergrüne Alerce, ein Zypressengewächs, das mittlerweile unter Artenschutz steht. Dieser Baum beeindruckt durch seine Höhe – bis zu 60 Meter kann er wachsen und sehr alt werden. Der berühmteste Baum im Park wird «El Abuelo» genannt und wird auf etwa 2600 Jahre geschätzt. Leider findet man heute aufgrund von immer wieder heftigen und grossflächigen Waldbränden immer weniger davon. Bei den letzten beiden Bränden (2015 und 2016) sind riesige Flächen abgebrannt. Vom südlichen Parkeingang Richtung Norden ist über mehr als 15 km die ganze linke Seite bis zur Baumgrenze verbrannt. Ein Desaster.
Ein Gedicht von Juan Gelman, gelesen an der Schule vom Nationalpark, bewegt uns zutiefst:
Uebersetzung (von Joly)
Ein Vogel lebte in mir. Eine Blume reiste durch mein Blut. Mein Herz war eine Geige.
Auch ich freute mich über den Frühling, die Hände zusammenhalten, glücklich sein.
Hier ruht ein Vogel, eine Blume, eine Geige.
In der Dämmerung schlägt die traurige und einzige Violine meines Herzen.
Und er weint lange und leise… Hörst du ihn nicht?
Im Park machten wir die Bekanntschaft von Federico, Pablo und seiner Frau. Drei spezielle Argentinier die am Lago Futulaufguen in einer Cabaña den Geburtstag von Federico feiern. Wie es so üblich ist für die Argentinos, werden wir spontan und herzlich eingeladen und kommen so in den Genuss einer sehr windigen und wunderschönen Bootsfahrt auf dem Lago. Als Krönung dürfen wir im Puerto Limonao, wo wir das Boot ausschiffen (wäre eine eigene Geschichte für sich), einen «Zorro colorado» sehen.
Als Dank backe ich am Abend «Schrägpizzas». Schräg, weil das Backblech für den Ofen einiges zu gross ist. Kein Problem – für alles gibt es eine Lösung, wir haben von den Argentinos gelernt: einfach das Blech auf der einen Seite in die 2. und auf der anderen Seite des Ofens in die 3. Rille schieben – bei Halbzeit das Ganze um 180 Grad drehen – fertig und erst noch gut sind die Schrägpizzas!
Liebe Freunde und unbekannte Leser, Wein, Bier, Schokolade, Pizza und und und….. fordern ihren Tribut und das Zubettgehen im «oberen Stock des Sprintis» mit schmaler Leiter wird immer anspruchsvoller… Es muss etwas unternommen werden! Bei mir sorgt Sprinti und der unsägliche Staub für tägliche Fitness. Hingegen bei Kurt – ungeachtet von den 3 rausgeknallten Bandscheiben – mussten fast drei Ster («fascht es Chlafter») Holz Kurt’s enthusiastischem Tatendrang ihren Tribut zollen. Stolz und zufrieden und erst noch OHNE Bandscheibenschmerzen und KEIN Muskelkater (sagt er) zeigt er mir sein «Sixpack» in Form eines mü-Bierbäuchleins.😊
Myma und Harko, die beiden Topphysios von Kurt hätten da wohl noch «ein paar medizinisch wertvolle Bemerkungen» dazu gemacht. Allerdings wäre die Frage erlaubt: wäre Holzspalten nicht eine alternative Heilmethode für Bandscheibenprobleme?
Die legendäre Ruta 40 hält was sie verspricht. Sanft schlängelt sie sich durch wunderschöne Wälder und Täler den Flussläufen und/oder Seen entlang. Die Landschaft wechselt sich immer wieder ab und wir wollen euch nicht langweilen indem wir immer wieder schreiben wie schön das ist… aber jetzt blühen die Lupinen in den Farben blau, violett, rosa, weiss und dazwischen das knallgelbe Ginster, schneebedeckte Berge, blaue Seen… Was für eine Pracht! Fast nach jeder Kurve müssen wir anhalten und das noch schönere Sujet fotografieren – ein Meer von Farben – unsere Augen können nicht genug davon sehen – und es geht nicht anders, wir müssen euch mindestens ein paar Aufnahmen zeigen – ein einzigartiger Spektakel!
Und als wäre das nicht schon bombastisch genug, kommt beim Kilometer 1952 die absolute Krönung, zwei Greise treffen sich 😊. Beide erfolgsgekrönt in grau/weiss – der eine neigt etwas nach links der andere etwas nach rechts – und ungeachtet der Spuren der «Wei(s)sheit» stehen sie mit Stolz vor der Kamera, um diese spezielle Jahrgangs/km-Begegnung zu verewigen.
Die Ruta 40 führt durch Bariloche, sie ist auch als «Ruta de los 7 Lagos» bekannt. Bariloche liegt wunderschön am Lago Nahuel Huapi, der wie der Vierwaldstättersee mehrere Brazos/Arme mit verschiedenen Namen hat. Dieser Teil der Ruta ist etwas vom Schönsten, das wir je gesehen haben. Es ist wie wenn man durch das Engadin fährt – einfach ein paar hundert km länger und mit viel mehr Seen. Wohl nicht zu Unrecht wird die Gegend um Bariloche als die «Schweiz von Argentinien» bezeichnet. Traumhafte Villen mit wunderschöner See- und Bergsicht schmücken die Stadt und vor allem die Umgebung. Doch kaum verlässt man die Seestrasse, kommt die Kehrseite zum Vorschein. Verfallene Baracken, staubige Strassen, sichtbare grosse Armut…. Diese Gegensätze sind krass und wir können es nachvollziehen, dass diese Stadt mit sehr viel Kriminalität von den meisten Reisenden als äusserst gefährlich eingestuft und daher gemieden wird.
Und irgendwann ist es soweit und wir können den ach so berühmten Vulkan Lanin schon von weitem sehen. Er versucht seine Schönheit in den Wolken zu verstecken, doch es gelingt ihm nicht. Er ist tatsächlich sehr schön – aber der Schönste? Um dies zu beurteilen müssten wir ihn von noch näher sehen. Noch besser wäre eine Besteigung, doch dafür reicht die Kondition nicht – noch immer plagen uns die Spuren von Schokolade und Bier…… zudem lässt sich bekanntlich bezüglich Schönheit über Geschmäcker prächtig streiten.
Ueber einen kurzen Abstecher durch Chile wo wir weitere Vulkane sehen, die für uns den Titel als „schönster Berg Südamerikas“ mindestens genauso verdient hätten, fahren wir zurück nach El Bolson. Ein MUSS – um unsere «Spuren» artgerecht zu erhalten
Reisezeit: Dezember 2017
Hasta la proxima