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09 – AR – Antarktis oder „Mit dem Segelschiff durch die Drake-Hölle“

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Wer ins Paradies will – muss wohl durch die Hölle…

Es war eine der „ab und zu mal vorkommenden“ verrückten Ideen von Kurt, mit einem kleinen Segelboot zum Kap Horn und durch die Wellen der Drake-Passage zu fahren. Und so präsentierte er mir eines Tages (noch in der Schweiz) die Unterlagen einer wunderbaren und einmaligen Reise in die Antarktis.
Ja, die Reise klang wirklich attraktiv. Doch meine Antwort war trotzdem Nein – zu stark waren meine Bedenken bezüglich der Drake-Passage und das noch mit einem Segelboot.
„Schätzli“ sagte er liebevoll und fing an zu argumentieren… und da war er wieder dieser Blick dem ich einfach nicht widerstehen kann….

Und so kam es, dass wir am Montag, den 12.02.2018 um 12:02Uhr auf das Segelboot Anna Margaretha steigen. https://annemargaretha.nl/ Das Wetter ist schön und der Wind weht sanft.
Der Kapitän Heinz und seine 4-köpfige Besatzung heissen uns willkommen an Bord und weisen uns unsere Kabine zu, welche für die nächsten 4 Wochen unser Zuhause sein wird. Kaum vorstellbar, dass der uns zur Verfügung stehende Platz um einiges kleiner ist als im Sprinti, doch es ist so.

Danach werden uns die Regeln an Bord, die Rettungswesten und die übrigen Utensilien gründlich erklärt und die Wachen-Einteilungen festgelegt. Wachen sind rund um die Uhr, ob wir segeln oder vor Anker liegen. Wir, Kurt, Louise und ich plus 2 Besatzungspersonen (Maraika und Andrea) haben uns für die Wache von 16:00 – 20:00h und von 04:00 – 08:00h entschieden. Grund dafür: wir wollten so den Sonnenuntergang und -Aufgang in voller Pracht geniessen. Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt…..und drittens überhaupt……

Den heutigen Tag verbringen wir im ruhigen Hafen von Ushuaia, um es uns so gemütlich wie möglich einzurichten und uns langsam an’s Schaukeln zu gewöhnen.

Am nächsten Tag, nachdem wir die Zollformalitäten abgewickelt haben, verlassen wir um 10:20h den sicheren Hafen von Ushuaia.
Was für ein Gefühl auf dem Deck der Anna Margaretha zu sitzen, durch den berühmten Beagle-Kanal zu segeln https://de.wikipedia.org/wiki/Beagle-Kanal und langsam Ushuaia hinter uns zu lassen. Während dieser noch gemütlichen Fahrt können Kurt und ich uns wie «kleine Captains» fühlen und das Segelboot steuern und dabei lernen, wie das Boot auf Kurs gehalten wird. Noch ist alles gut und ich denke, dass meine Bedenken doch etwas übertrieben waren.

Wir nehmen Kurs Richtung Drake-Passage. https://de.wikipedia.org/wiki/Drakestra%C3%9Fe

Je weiter wir segeln desto heftiger und höher werden die Wellen. Das Barometer sinkt innert kürzester Zeit von 1000 auf 986 Isobaren – das bedeutet, dass ein Tiefdruckgebiet schlechtes Wetter mit sich bringt. Und plötzlich wie aus dem nichts fegt der Wind zwischen 45-55 Knoten (80-100 km/h). Wellen von ca. 4-6m Höhe zwingen uns, unsere Wache abzubrechen und ins Innere der Anna Margaretha zu flüchten. Wir befinden uns immer noch auf den Beagle-Kanal, in den ersten Stunden unserer Reise… Ein anderes Segelboot, die Icebird, welche einige Stunden vor uns gestartet ist meldet per Funk, dass die Drake-Passage „ziemlich stürmisch“ und die Wettervorhersage (eine andere als die unsere) sehr schlecht sei.

Unser Captain Heinz entscheidet daher, die Überfahrt zu verschieben. Dafür müssen wir gut 2,5 Std. zurück zur Hacienda Harberton segeln, wo wir im ruhigen Hafen unsere beiden Anker auf Grund sinken lassen.
Hier bleiben wir aufgrund der Wettervorhersagen 2 Tage. Wir nutzen die Zeit, um eine Führung durch die Hacienda Haberton zu machen und um die Geschichte des Urvolkes der Yamana zu erfahren. Eine sehr interessanten Geschichte. Wir empfehlen die Beiträge im Wikipedia nachzulesen.
https://en.wikipedia.org/wiki/Estancia_Harberton und https://de.wikipedia.org/wiki/Y%C3%A1mana

Zwei Tage später, nachdem unser Captain Heinz nochmals die Wettervorhersage für die nächsten 4-5 Tage gründlich analysiert hat, (so viel Zeit brauchen wir um die Drake-Passage zu überqueren) hissen wir die Anker und starten in guter Hoffnung um 10:30h Richtung Antarktis.

Unsere 1. Wache beginnt wie geplant um 16.00h. Wir wollen ja den Sonnenuntergang geniessen…. Ich bin von 16.30 – 17.00h am Steuer – es sollte meine erste und letzte Wache bei der Hinfahrt sein – das wusste ich aber da noch nicht. Die Wellen schaukeln meinen Magen hin und her – hin und her…. Ich spüre wie es mir immer schlechter geht, schaffe gerade noch meine ½ Stunde – danach begrüsst mich meine Kabine (die ich ab sofort «Bunker» nenne) für die restliche Zeit der Drakepassage.

Es beginnt für mich die Hölle. 5 Tage lang = 120 Stunden – 7200 Minuten – liegend, mit geschlossenen Augen im Bunker…. und unaufhörlich die Wellen die mich hin und her schaukeln…. Am Anfang bin ich noch optimistisch und denke, mein Magen wird sich an das Schwanken gewöhnen. Schliesslich habe ich alle Requisiten wie Druckbänder, Wasserbrille, Stugeron und wie das Zeug alles heisst angewendet und der «blaue Kotzeimer» steht zur Not griffbereit. Also beschäftige ich mich damit, den Gang der Wellen zu spüren und stufe sie in 3 Kategorien ein.
Kategorie 1: Wellengang von rechts nach links oder umgekehrt je nach Wind. Kategorie 2: Wellengang von hinten nach vorne oder umgekehrt je nach Wind. Kategorie 3: Wellengang von links nach rechts und von hinten nach vorne (das sind die Schlimmsten für meinen Magen). Logischerweise meldet sich äusserst unpassend meine Blase… Nein, nein, nein – was mache ich jetzt? Schon der Gedanke ans Aufstehen lässt meine Gesichtsfarbe grün werden.

Ich denke nach wie ich das lösen könnte und bemerke dabei, dass beim Wellengang der Kategorie 1 jeweils ein kurzer «Wellenstillstand» stattfindet. Ich warte gespannt auf den richtigen Augenblick, stehe «zielstrebig» auf und hechte aufs WC. Doch genau diesmal macht die Welle der Kategorie 1 eine Ausnahme und schleudert mich mit aller Wucht mit meiner linken Schulter gegen die Duschkabine. Ich versuche mich zu halten und breche mir dabei ziemlich schmerzhaft einen Nagel. «Scheisse» rufe ich aus, die Nagelfeile befindet sich im Rucksack und zwar zuunterst – No way, das schaffe ich nie. Die Schere ist griffbreit und muss für die Nagelfeile einspringen. Im Schwanken, denn mittlerweile sind wieder alle Wellenkategorien an der Reihe, versuche ich den Nagel zu schneiden – doch die Drake (die Hölle) hat kein Erbarmen und schickt genau in den Moment, als ich den Nagel schneide, eine Welle der Kategorie 3 was einen Schnitt ins Fleisch verursacht.

Kraftlos und völlig verschwitzt gelingt es mir irgendwie wieder in den Bunker zu kriechen, wo ich mit Atemübungen versuche so gut es geht, meinen Magen wieder zu beruhigen.

Und so vergehen die Minuten und Stunden und meine Gedanken werden immer seltsamer…. Ich stelle mir ein Kind im Mutterleib vor. Die Mutter macht gerade Schwangerschafts-Gymnastik und schaukelt das arme Ding hin und her…. doch das Kind hat keinen blauen Eimer griffbereit und kann auch nicht «hallo Mama rufen – reich mir mal bitte den Eimer, ich muss k…»
Oder an eines der vielen biblischen Mysterien: Jonas im Bauch des Wals – ich stelle mir vor wie es im Magen eines Wahls wohl riechen muss und schon ist sie wieder da «die grüne Farbe»… auch Jonas konnte nicht einfach zum blauen Eimer zurückgreifen….. also bleibt ihm nichts anderes übrig, als einfach im Magen der armen Ballena zu erbrechen – kein Wunder hat sie ihn nach 3 Tage ausgespuckt.
Irgendwann verliert die Zeit im Bunker «die Zeit»! Ich ergebe mich meinem Schicksal und versuche nur noch den Verstand nicht zu verlieren.

Im Delirium höre ich irgendwann, keine Ahnung ob Tag oder Nacht, eine liebe Stimme die meinen Namen ruft und fragt ob ich wach bin…. Oje, jetzt ist es soweit – Schizophrenie! Misstrauisch öffne ich ein ganz wenig mein rechtes Auge und sehe ein Gesicht umhüllt mit wilden Haaren und langem Bart. Zwei liebevolle Augen schauen mich an und eine Hand reicht mir etwas und sagt: «Nimm das, es wird dir helfen». Ich erkenne ein Zäpfchen, überreicht durch den Captain höchstpersönlich. Ich bin völlig verwirrt den ich kenne nur das «Captains-Dinner» und nicht «Captains-Zäpfchen-Reicher…»

Zwischendurch höre ich immer wieder Kurt, der schweren Atems von der Wache zurückkommt und zum blauen Eimer greift. Meine Kraft reicht gerade noch um meine Hand auszustrecken um ihn somit mein Mitempfinden zu zeigen.
Als wir endlich am 19.02. die südliche Shetland-Inseln erreichen und das Meer ruhiger wird, weiss ich, dass ich vorerst das Inferno (ohne den Verstand zu verlieren??) überstanden habe.

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Für mich Kurt war es eine Tortour, das Leiden von Joly zu sehen – leider konnte ich nur wenig tun um ihr zu helfen. Ich selber hatte Stunden nach Joly’s «Exil in den Bunker» plötzlich auch meine liebe Müh und Not.

Ich komme von meiner Wache (steuern des Bootes bei Wellen von nur 3-5 m) zurück. Joly fragt mich liebevoll, wie es mir gehe. «Es geht mir recht gut» war meine ehrliche Antwort, doch 3 Sekunden später griff ich zum «blauen Drake-Topf»………………und dabei ging es mir wirklich noch einigermassen gut – aber das war ja vor 3 Sekunden.

Erklärung: der beste Ort bei starkem Wellengang ist das Deck – du siehst den Horizont, hast frische Luft. Der zweitbeste Ort ist das Steuerhaus, es hat Fenster mit der gleichen Sicht aber ohne frische Luft. Ein sehr schlechter Aufenthaltsort ist der Essraum und vor allem die Küche – dort musst du arbeiten und senkst immer den Blick auf die Arbeitsunterlage – – DAS IST PURES GIFT FÜR DICH.
Der zweitschlimmste Ort ist deine Koje – kein Horizont, du schaust oft auf den Boden – es wird dir speiübel. Der absolut schlimmste Ort ist die Toilette/das Bad. Hölle pur. Es gibt nur eines: im Bad und der Koje möglichst NIE auf den Boden schauen, Augen schliessen. Na, dann zieh dich doch mal an mit geschlossenen Augen und dem ewigen und heftigen Hin- und Herknallen an jede Wand, jede Kante und Ecke……….
Prozedere: irgendwie aus dem Bett kommen – mit einem Bein an die gegenüberliegende Wand zum Abstützen, mit dem anderen Bein blind Halt suchen an der unteren Bettkante von Joly – und das bei heftigem Wellengang OHNE eine Sekunde Pause, tagelang. Du stehst, hältst dich irgendwo und -wie fest, Augen auf – Hosen suchen, anziehen…… mit dem Kopf/Kinn auf dem Bett dich festhaltend……du fliegst an die Wand, erst links, dann an die hintere. Du musst auf die Treppe sitzen, anders geht’s nicht. Die Socken, dann die Winterjogginghose, die Trekkinghose kommt als nächstes, dann die Regenhose. Alles mit geschlossenen Augen, denn du willst den verd… blauen Drake-Kübel nicht füllen.

Nun die atmungsaktiven Pullis, die Daunen- und die Regenjacken suchen, die Handschuhe, die Mütze (zum ersten Mal trage ich Mütze………eine weitere Premiere), gefütterte Schuhe suchen und die Schwimmweste. Ich habe höllisch warm, genau das Richtige in meiner Lage!!! Ich suche den Weg zum Steuerhaus, knalle an jede erdenkliche und vorhandene Kante und Wand, schwanke hoch, schmeisse meine Sachen einfach mal auf den Boden und suche eine Sitzgelegenheit. Krachend falle ich auf eine solche um im nächsten Moment auf den gegenüberliegenden Tisch zu fliegen – und zurück……. Was du bei dir zu Hause in maximal 2 Minuten hinkriegst, das dauert hier jedes Mal mindestens 15-20 Minuten – schier nicht zu glauben, doch es ist einfach so.

Übrigens: wenn du in die Kabine zurück «gehst» ist das Prozedere noch schlimmer – denn du musst die Kleider trotz übelster (Ko…)Kondition so zurechtlegen, dass du sie bei der nächsten Wache einfacher griffbereit hast – dazu musst du die Augen offen haben – – wenn du weisst, was ich damit meine!!!
Du krallst dich am Bett fest, natürlich hat das Boot so gegen 45 Grad Schräglage – gegen dich, also zu deinen Ungunsten. Irgendwie ziehst du dich hoch, denn du hast gerade mal noch eine einzige Sekunde Zeit dafür, ansonsten füllst du…… (blau). 9 von 10 Mal schaffe ich diese eine Sekunde. Ich liege schwer atmend im Bett und versuche mich zu erholen. Die nächste hohe Welle kracht seitlich in das Boot, reisst unsere Kojentüre auf, Schwimmweste und Schuhe fliegen durch den Essraum, der blaue Kübel kracht vom Bett auf den mit Utensilien und Kleidern übersäten Boden. Dieses Mal ist «der Blaue» leer – – war auch schon mal nicht so……

***

Als wir endlich die südliche Shetland-Inseln erreichen, beruhigen sich die Wellen und der Tag begrüsst uns mit einen wunderschönen Sonnenaufgang und das Paradies öffnet uns das Eingangstor. Vor uns strahlt das blaue Eiskontinent in voller Pracht!

Leider müssen wir feststellen, dass es auch im Paradies Deppen gibt: Wir haben den 60 Breitengrad längst durchfahren. Ab hier gilt der Antarktisvertrag (in Kraft seit 1961). Hier darf nur zu Friedenszwecken geforscht werden, keinesfalls darf hier jemand fischen. Wir sehen mit eigenen Augen zwei grosse chinesische Fischfangschiffe, welche hier fischen. Ein anderes Boot funkt die Chinesen an, wir hören den Funk mit. Sie werden gefragt, ob sie denn nicht wissen, dass sie weit im Schutzgebiet drin seien und das Fischen streng verboten sei. Lapidare Antwort der Chinesen: «Ja, wir wissen wo wir sind – wir tun das trotzdem»!!!!
Pro Tag fischen diese Schiffe gemäss unserem Capitän 200 Tonnen (mal zwei Schiffe). Wir haben sie 5 Tage lang gesehen – rechne. Nur der Staat, in welchem die Schiffe gemeldet sind, können Strafen aussprechen. Die Schiffe gehören dem chinesischen Staat…..

Noch ein interessanter Hinweis: https://de.wikipedia.org/wiki/Antarktische_Konvergenz
Dort wo die gelbe Linie verläuft (Konvergenzlinie), dort ist die Temperatur des Wassers merklich tiefer als nördlich davon. Das spüren wir sofort in unserem Boot – es ist nun wesentlich kühler, Wassertemperaturen im Minusbereich, Kondenswasser bildet sich überall. Wir erhalten die Empfehlung, die Innenwand unseres Bettes mit einer Schutzmatte abzudecken, damit wir nicht zu kalt haben und unsere Betten, Decken etc. nicht nass werden.

Unsere erste Etappe führ uns zur „Deception Island“, welche durch eine Implosion eines Vulkans (plötzlicher Einsturz) gebildet wurde. Die Geschichte dieser Insel ist sehr interessant und wir empfehlen die Lektüre auf https://de.wikipedia.org/wiki/Deception_Island
Wir gehen mit dem Zodiak (Gummibeiboot) ans Land um die Relikte der beschädigten (durch die Vulkanausbrüche von 1967 + 1970) englischen Forschungsstation bei Whalers Bay zu sehen (die chilenische ist verschüttet, kann nicht besucht werden). Die noch sichtbaren Spuren einer flüchtigen Evakuation lassen uns erschaudern. Heute gehört die Insel den Pinguinen, den Robben und verschiedenen Vögel, welche dem Wind und der Kälte trotzen.
Nach der Rückkehr auf das Boot desinfizieren wir unsere Schuhe in einem Wasserbad. Kurt rutscht aus, kracht mit seinem ganzen Gewicht auf den Boden – der Ellenbogen (Schleimbeutel und Knochenhaut) wird ihn noch Wochen lang an den Sturz erinnern und die Bandscheiben schicken auch noch ganz liebevolle Grüsse……

Ebenfalls die Ankerwachen (je eine Stunde durch die ganze Nacht) sind eindrücklich. Mal siehst du die «Milky way», mal weckst du den Kapitän, weil eine grosse Eisscholle ans Boot anklopft, mal verschiebt der Wind das Boot und den Anker – der Abstand zu den Felsen und Eiswänden ist oft sehr sehr klein….. es läuft etwas.

Unsere Reise führt uns weiter bis zur „Enterprise Island“ wo wir am Wrack der Governor, einem ausgebrannten norwegischen Walfangschiff aus dem Jahre 1916, die Anna Margaretha festbinden. Das Wrack war über viele Jahre im Eis gefangen und nicht sichtbar. Nun liegt es wieder frei – ein weiteres Zeichen der Erwärmung.

Das Wetter meint es nicht gut mit uns, es herrscht grau in grau. Wir lassen uns dadurch nicht einschüchtern und gehen mit dem Zodiak auf Entdeckungsreise. Neugierige Seeleoparden begleiten uns – einer ist durch uns sehr gestört und greift uns sogar im Boot an. Wir sehen Robben die friedlich auf Eisschollen ruhen und eine Unmenge an Pinguinen, die das Futter für ihre Jungen suchen. Vor allem faszinieren uns die riesigen Eisberge, welche durch das Treiben im Wasser wie Skulpturen geformt werden. Wir finden auch so genannte „Wasser-Boote“. Die wurden gebraucht, um Eis als Wasservorrat auf die Schiffe zu transportieren. Diese Wracks sind gut 100 Jahre alt, doch das vorhandene Material ist durch die Kälte noch immer sehr gut erhalten.

Wir besuchen die chilenische „Antarctic Base Gonzáles Videla“ wo wir mit der 11-köpfigen, sympathischen Mannschaft bei Musik und entspannter Atmosphäre einen unvergesslichen Abend verbringen. Bei der argentinischen „Base Brown“ besteigen wir den ca. 70m hohen Hausberg (Woow was für eine Leistung) und schlitteln wie kleine Kinder auf dem Hosenboden den Berg hinunter. Spannend: wenn du Landkarten von Argentinien, Chile und England vom Gebiet der Antarktis anschaust, dann siehst du, dass sich die Gebiete von Chile und Argentinen um rund einen Drittel überdecken und das Gebiet von England beide Länder (und mehr) abdeckt. Gesprächsstoff für die UN ist reichlich vorhanden…. Für uns toll ist, dass sich die beiden Gruppen (Chile und Argentinien) regelmässig besuchen und zusammen feiern – sie haben kein Problem, das haben gemäss ihnen „nur die Politiker“.

Auf „Port Lockroy“ befindet sich nebst einem Museum auch die südlichst gelegene Post. Sie wird von 5 Damen betreut, die chilenische übrigens von 11 Militärs (5 Navi und 6 Airforce) und die argentinische von 9 Personen (Militär und Regierung). Es geht nur um die Präsenz……scheinbar wichtig in unserer Welt.
Zudem leben Unmengen von Eselspinguinen auf diesen drei „Stützpunkten“. Neugierig picken sie an meinen Finger. Einfach süss sind sie. Am liebsten würde ich einen mitnehmen…

Fantastische Berge von über 3’000m Höhe, die meisten von Eis bedeckt – ohne Namen und nie von einem Menschen betreten – unzählige Gletscher, welche die Eisberge „gebähren“ – das ist hier unsere momentane Welt. Der südlichste Punkt den wir auf unserer Antarktis Reise erreichen ist knapp über dem 65°. Kurz darauf versperren uns unzählige Eisschollen die Weiterfahrt. Würden wir jetzt durch die Meerenge fahren und morgen wieder zurück wollen, wäre das schlicht nicht mehr möglich. Es wäre alles zugefroren – also kehren wir schweren Herzens wieder um.

Am 2. März 2018 feiern wir auf der Melchior Island meinen Geburtstag. Wir erhalten überraschend Gäste von einem 200 Personen-Kreuzer. Der Kapitän persönlich bringt uns eine Flasche Champagner – wie wenn er gewusst hätte, dass wir feiern (wer hat den Mund nicht halten können??).

Die Zeit im Paradies ist am 3. März 2018 für uns vorbei – Die Hölle ruft – und wie! Aber vorher nehmen die verrückten Holländer alle noch ein Sekundenbad im Meer – und das bei -1° kaltem Wasser!!!

Und weil die erste Ueberquerung so intensiv war, gibt es für mich Supplement im Bunker mit reichlich viel Sahne drauf…. Ich will diese «Dreck-Tage» so schnell wie möglich vergessen. Deshalb betätige ich jetzt die «Control+Alt+Delete» Taste und lasse das Video einer ähnlichen Überfahrt und Kurt weitererzählen.

Nur kurz: Heinz, unser Kapitän, fuhr schon 29 Mal die Drake. Diese, die 30. wird seine letzte – er will nicht mehr so lange unterwegs sein. Gegen Ende der 5-tägigen Höllenfahrt eröffnet er mir in einer stillen Minute: «Das habe ich noch nie erlebt in all den Jahren. Ein Tiefdruckgebiet jagte das andere, viele heftige Stürme – zwei davon mit Wind bis 145 km/h (Beaufort 12) und Wellen von 12-14m Höhe – haben selbst mich mächtig beeindruckt». Schau mal einfach spasseshalber mal unter dem Stichwort „Beaufort“ nach.
Die Wettervorhersage zeigte Winde von 25-35 Knoten, wir hatten auf dem Hinweg 66.4 und auf dem Rückweg 78.3 Knoten!!!!!!!! Übrigens: die Stürme hier dauerten so ca. 12- 18 Stunden, dann war wieder „Normalwind“ mit 50 Knoten…. So eine Meter-Angabe sagt noch nicht allzu viel. In Arni wohnten wir in einem 6-Familienhaus, im 1. Stock. Über uns wohnen unsere Freunde Vaseks, auf zwei Stöcken. Als wir im Beaglekanal umkehrten (Wind von 54 Knoten – rund 100km/h und lediglich Wellen von 5-6m) hätten unsere Freunde zumindest nasse Socken gehabt – wir wären längst unter Wasser gewesen. Bei 12-14m Wellenhöhe – steh mal vor dein Haus und staune……Was das für mein An- und Entkleideprozedere bedeutet, kannst du dir nun locker selber ausmalen.

Alle, wirklich alle hat die Seekrankheit erwischt – auch die Crew. Dieser wollen wir unbedingt unser allerhöchstes Lob aussprechen. Immer waren sie da, haben neben der Wache auch noch geputzt, gekocht, repariert, Segel gesetzt und eingezogen…………etc. etc. Respekt an diese tollen Leute, zwei Holländer und zwei ganz junge Deutsche (je Mann/Frau). Wenn die Jugend so ist wie die beiden, dann hoffe ich, dass sie bald viele Kinder haben und ihre Gene weiter verbreiten 😊.

Wir sind in Ushuaia angekommen wo unseren Sprinti sich in einem geschützten Parkplatz mitten in der Stadt infolge einer interessanten Begegnung 4 Wochen ausruhen konnte. Nun können und dürfen wir in einem riesigen Appartement logieren. Endlich ausspannen ohne Schwanken, Körper erholen lassen und langsam wieder in die Normalität zurückfinden. Joly eröffnet mir noch einen sehr wichtigen Punkt für unser weiteres Leben: «NIE werden wir ein Wasserbett haben»!

Hat es sich gelohnt? Im Nachgang sicher, während der Drake sicher nicht. Dort lernst du blaue Kübel und Tee hassen. Doch am Schluss bleiben natürlich die fantastischen Bilder und Begegnungen im 6. Kontinent haften. Nebst den vielen Pinguinen und Vögeln durften wir unzählige Wale (Buckel- und Finwale) und über ein Dutzend jagende Orcas erleben – und das direkt neben und vor unserem Boot. Total beeindruckend – für uns ein Erlebnis der Superlative.

Versprechen an Joly: bei meinen nächsten «verrückten» Träumen darfst du auch mal pausieren 😊.
DANKE DASS DU UNS DIESES ERLEBNIS HAST ERLEBEN LASSEN.

Noch ein paar Worte zu Ushuaia (Us..ausgesprochen, nicht wie im Englischen «sh»= «sch..»):
Die Stadt ist entstanden aus einem Straflager, dann war sie eine Militärgarnison, nun die südlichste Stadt. Ausser dem Zentrum mit der Einkaufsstrasse Av. San Martin, wo alle Touris (auch wir) sind, ist die Stadt nicht wirklich interessant. Im Gegenteil – noch nie haben wir in Argentinien eine Stadt mit schlechteren Strassen erlebt. Viele fahren das ganze Jahr über mit Spikes, was dem Asphalt nicht wirklich gut tut.

Im Industriegebiet, wo an den Strassen seit vielen Jahren gebaut wird, gleicht sie effektiv eher einer Motocross-Piste denn einer Strasse. Riesige Löcher, Gräben, Verwindungen – unglaublich. In den äusseren und neuen Vierteln Richtung Berg ist es genauso. Wir mussten sogar den 4×4 einschalten….

Geld muss resp. müsste da sein, denn die Touristen bringen viel davon. Ein Kreuzer bezahlt z.B. für das An- und Ablegen über $15’000. Bis vor 3 Jahren musste unser Kapitän den Diesel (jeweils gut 3’000 Liter) nachts und schwarz tanken (Fässer rollen über den Steg), denn der offizielle Weg wäre sündhaft teurer und pro Tag und Person wären nur 200 l tanken möglich gewesen. Heute ist das Illegale etwas «legalisiert», aber immer noch ein Risiko.

Ushuaia erinnert mich an meine Zeit in der Grossindustrie. Dort war ich in den 70er Jahren im Konzern im Rechnungswesen und u.a. verantwortlich für Italien. Konzerne konnten damals im «Mezzogiorno» (südlich von Rom) Produktionsstätten aufstellen, bekamen vom Staat kräftig Subventionen und über Jahre Steuernachlässe. So konnte man (tut man heute noch) weltweit Gewinne und «Verluste» supertoll verschieben. Die «Gebühren» an die entsprechenden Personen liefen bei uns in der Buchhaltung unter «Nützliche Abgaben». Wie wir aus einer guten Quelle hier erfahren, ist es in Ushuaia immer noch so – Buenos Aires erlässt den Grossen die Steuer und subventioniert – obwohl viel Geld da wäre. Es fliesst einfach nur zu den im Moment herrschenden Familienclans – die jeweils durch den Regierungswechsel wieder ausgewechselt werden. Also nimmt man so lange man kann. Ein Schelm, der eine Parallele sucht zu ähnlichen Praktiken und den Einwanderern aus dem südlichen Europa. Mittlerweile gibt es eine politische Partei in „Tierra del fuego“, welche zwei Ziele hat: Arbeit für alle und „keine einzige Familie weniger auf Feuerland“… Abwanderung ist logischerweise auch hier ein Thema.

Etwas zum Schmunzeln haben wir hier auch noch erlebt. In Uruguay und vielen Orten in Argentinien promenieren am Sonntag die Leute in ihren Autos dem Strand entlang und trinken ihren Mate. Hier in Ushuaia ist am Sonntag ab ca. 13h die am Sonntag leere Einkaufsstrasse plötzlich proppenvoll. Eine endlose Autoschlange (Einzelpersonen, ganze Familien inkl. Grosseltern und Nachwuchs) „fährt“ im Schrittempo die rund 2km lange Strasse entlang, viele haben die Fenster runter gelassen und entsprechend hört man die Lieblings-Musik der Insassen – natürlich so laut wie möglich. Ist das Ende der Strasse erreicht, fährt man unten an der Seestrasse wieder zurück und stellt sich wieder hinten an. Das Spektakel endet so gegen 22h. Herrlich 😊.

So, jetzt ist es höchste Zeit, endlich mal zum „T-Shirt und kurze Hose- Wetter“ zu fahren. Bei euch ist der Winter ja auch heftig lang und schneereich, hier ist es im Sommer (!!!) ähnlich – ab in die Wärme.

Hasta la proxima
Reisezeit: Februar/März 2018